Nikolas ertappt sich in der letzten Zeit immer häufiger dabei, dass es ihm wichtiger zu sein scheint, dass er Verabredungen mit seinen Freunden und seiner Familie möglich machen kann, als mit Meike Zeit zu verbringen. Er hatte auch schon den Gedanken, dass sie inzwischen eher wie Mitbewohner sind, als ein Liebespaar. Der Gedanke erschreckte ihn und er hat ihn schnell wieder verdrängt. Es war ja alles in Ordnung in ihrer Beziehung. Sie stritten sich kaum und verstanden sich nach der langen Zeit sehr gut. Allerdings war Meike in der letzten Zeit sehr viel mit den Projekten aus ihrem Job beschäftigt und als Unternehmensberaterin ist sie auch viel unterwegs. In den letzten Monaten musste sie vermehrt auch schon am Wochenende anreisen oder hat sich Arbeit mit nachhause gebracht. Auf die Nachfragen von Nikolas, wie es gerade läuft und wo sie die nächste Woche sein wird, reagiert sie inzwischen nur noch genervt, weshalb Nikolas nur noch selten fragt. Er wäre gerne wieder mehr ein Teil ihres Lebens und würde gerne daran teilhaben. Als sie noch in einer Fernbeziehung gelebt hatte, hatten sie stundenlang telefoniert und jeder wusste was den anderen gerade beschäftigte. Das ist nur noch selten der Fall. Auch gemeinsame Unternehmungen gibt es kaum noch. Wenn Meike mal an einem Wochenende nicht arbeiten muss, möchte sie einfach auf der Couch liegen und nichts tun.
Meike ist erschöpft und ausgepowert. Sie hat aktuell mehrere große Projekte und ist sich sicher, dass sie die gewünschte Beförderung endlich bekommt, wenn sie diese Projekte gut bewältigt. Das ständige Nachfragen von Nikolas wie ihr Tag war und was in den nächsten Tagen anstand, ging ihr auf die Nerven. Sie wusste, dass er es nur gut meinte. Dennoch wollte sie einfach gerne ihre Ruhe haben und möglichst wenig an die Arbeit denken, wenn sie mal zuhause war. Sie wollte einfach abschalten und mal nichts tun. Einfach die Zeit mit ihm zuhause genießen und sich dann nicht wieder mit Freunden zu irgendeinem Event verabreden.
Es ist ein kalter Dezemberabend. Nikolas hat vor zwei Tagen seine Sachen gepackt und ist zu einem guten Freund gezogen. Das hat er Meike telefonisch mitgeteilt, da sie noch in Berlin bei einem Kunden war. Die Wohnung, die sie früher gemeinsam bewohnt haben, wirkt leer und still, seit sie am Freitag wieder zuhause eintraf. Meike sitzt auf der Couch, ein Glas Wein in der Hand, und starrt nachdenklich auf den Fernseher, ohne wirklich hinzusehen. Ihr Blick fällt auf die Möbel in ihrem Wohnzimmer, die noch immer an die gemeinsame Zeit erinnern.
Plötzlich klingelt ihr Handy. Es ist eine Nachricht von Nikolas: „Kann ich vorbeikommen?“ Meike fühlt, wie ein Kloß in ihrem Hals wächst. Sie atmet tief ein und tippt dann zögerlich zurück: „Klar. Wann?“
Eine halbe Stunde später steht Nikolas vor der Tür. Er ist ein bisschen blasser als sonst, und in seinen Augen liegt eine Mischung aus Müdigkeit und Unsicherheit. Er hat eine Tasche dabei, und sie merkt sofort, dass er hier ist, um endgültige Klarheit zu schaffen.
„Du bist also wirklich ausgezogen“, sagt Meike, als sie ihm die Tür öffnet. Ihre Stimme klingt ruhig, aber es liegt eine unterschwellige Spannung in der Luft. Nikolas nickt und tritt ein. „Ja. Ich dachte, es wäre besser so. Ich brauche Abstand. Ich brauche Zeit, um nachzudenken.“ Sie sehen sich einen Moment an, als ob sie sich gegenseitig wieder neu erkennen müssten. Meike merkt, wie sie sich innerlich zusammennimmt, um nicht zu sehr von der Wut und Enttäuschung über den abrupten Auszug überwältigt zu werden. Sie hatte ihn verstanden, als er vor ein paar Tagen bereits gesagt hatte, dass er „Abstand“ brauchte, aber jetzt fühlt sie sich allein gelassen, fast übergangen in ihrer eigenen Entscheidung.
„Ich dachte, wir hätten das geklärt“, sagt sie schließlich und setzt sich auf die Couch, den Blick auf den Boden gerichtet. „Ich dachte, du würdest mir mehr sagen, bevor du gehst.“ Nikolas setzt sich ihr gegenüber, zieht nervös an seinem Ärmel und schaut sie an. „Ich wollte dir nicht wehtun, Meike. Aber nach unserem Gespräch am Wochenende konnte ich einfach nicht weiter so tun, als ob alles okay wäre.“ „Du hast mir nie wirklich gesagt, was du fühlst“, erwidert sie, ihre Stimme wird leiser. „Und jetzt stehst du hier und wir reden über den Auszug, als wäre es die einzige Lösung.“
Nikolas seufzt und schaut nachdenklich aus dem Fenster. „Ich weiß, dass es keine einfache Lösung gibt, aber ich konnte nicht weiter so tun, als ob es mir nichts ausmacht, wie wir uns voneinander entfernt haben.“ Er dreht sich wieder zu ihr. „Du bist so in deiner Arbeit versunken, Meike. Ich fühlte mich wie ein Gast in deinem Leben, nicht wie jemand, der dazugehört.“
Meike schließt die Augen und schüttelt den Kopf. „Ich verstehe das. Aber warum wirfst du das alles einfach so weg?“ „So ist das nicht.“
Die anschließende Stille zwischen ihnen ist schwer, aber auch ein Moment des Begreifens. Beide spüren, dass sie irgendwann an einem Punkt angekommen sind, an dem der Abstand mehr Raum eingenommen hat, als sie es jemals gewollt hätten. „Was willst du jetzt?“ fragt Meike schließlich, ihre Stimme ruhig, aber die Unsicherheit ist unverkennbar. „Willst du nicht einfach ein paar Tage hierbleiben, und wir schauen was kommt?“ Nikolas schüttelt den Kopf. „Nein, ich brauche erst einmal Abstand.“ Meike sieht ihn an, dann nickt sie. „Ok. Es tut weh, aber ich respektiere das.“
Nikolas steht auf und geht langsam zur Tür. „Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid tut, wie es gelaufen ist. Ich wollte nicht, dass es so kommt.“ „Ich weiß, Nikolas. Ich weiß“, murmelt Meike und schaut ihm nach.
Als er die Tür ins Schloss fällt, fühlt sich die Wohnung noch leerer an, als sie es vorher war. Sie bleibt noch eine Weile sitzen, das Glas Wein in der Hand, und lässt die Worte in ihrem Kopf nachhallen.
Wer trauert hier und welche Gefühle sind im Spiel?
Was kann man hier über Trauer erfahren und lernen?
Trauer verläuft nicht nach demselben Schema für jeden Menschen. So individuell wir Menschen sind, so individuell ist auch unsere Trauer.
Während Nikolas vermutlich bereits einen Schritt weiter ist in seiner Trauer und der Bewältigung dieser, hat Meike eben erst erfahren, dass die Zukunft, die sie sich vermutlich ausgemalt hat, gefährdet ist und macht damit die ersten Schritte in die Trauer.
Das soll nicht heißen, dass Nikolas frei von Trauer ist. Im Gegenteil. Auch bei ihm gibt es immer wieder Momente, in welchen er die verlorene Zukunft und den Verlust ihrer Vertrautheit betrauert. Gesellschaftlich gesehen wird ihm die Trauer allerdings abgesprochen, da er ja derjenige ist, der ausgezogen ist.
Wie es weitergeht, erfährst du kommende Woche in Teil 2 der Geschichte...
Bis dahin, lass mir gerne eine Rückmeldung zu dieser Geschichte zukommen.
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